20. September 2021

Wo lief’s falsch? Historischer Blick auf die Berliner Wohnungspolitik

Häuser am Kottbusser Tor
Quelle: https://bit.ly/2Xjpdxj

In Folge 4 des Kampagnenpodcasts Von Menschen und Mieten erzählen Stadtforscherin Lisa Vollmer und Sozialwissenschaftler Andrej Holm historisches von der Berliner Wohnungspolitik. Wir blicken zurück auf das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, auf die Privatisierungswellen nach der Wende und den Ausverkauf der Stadt nach dem Berliner Bankenskandal.

 

Unser Rückblick beginnt in der Nachkriegszeit: Der Wohnungsbau der 50er, 60er und 70er wurde vor allem vom Staat angetrieben. Es wird vom goldenen Zeitalter des sozialen Wohnungsbaus gesprochen, aber wie sozial war der eigentlich?

Andrej Holm erklärt im Podcast, dass die massive Wohnungsnot der Nachkriegszeit die damals konservative Regierung zwang, soziale Wohnungsbauprojekte umzusetzen. In den 50ern und 60ern gab es kein Interesse an Wohnungsbau durch private Unternehmen, weil die Zahlungsfähigkeit der Menschen sehr gering war. Und so wurde diese Aufgabe vom Staat übernommen. Damals wurden von der BRD Millionen Wohnungen fertig gestellt. Ein unglaublicher Erfolg, auch wenn diese Aufgabe nur etwas zähneknirschend übernommen wurde.

Sozialer Wohnungsbau als wirtschaftliche Förderung von Unternehmen

Für die heutige Situation am Wohnungsmarkt ist allerdings ein wichtiger Aspekt nicht außer Acht zu lassen: Laut Holm handelt es sich bei der damaligen Wohnungspolitik eher um eine Ermöglichung einer sozialen Zwischennutzung. Die private Bauwirtschaft hatte kein Investitionsinteresse; so wurden Wohnungen gebaut, allerdings nur solange bis der Markt vermeintlich wieder funktionieren sollte. Es entstanden zwar Millionen bezahlbare Wohnungen, die an eine gesetzlich festgelegte Höchstpreismiete gebunden waren, die sogenannte Mietpreisbindung, doch die war von Anfang an lediglich für einen Übergang in eine marktwirtschaftsorientierte Wohnungspolitik gedacht. 

Die konservativen Regierungen nutzten über die Zeit verschiedene Instrumente, um auch private Akteur:innen für den Neubau von Wohnungen zu gewinnen. So gab es zum Beispiel das Wohnungsgemeinnützigkeitgesetz. Lisa Vollmer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäsche Urbanistik und aktiv in der Initiative Stadt von Unten, erklärt im Podcast, dass die BRD das Gesetz nutzte, um Wohnungsunternehmen, private wie öffentliche Unternehmen, mit Subventionen und Steuervorteilen zum sozialen Wohnungsbau zu bewegen. Private Akteur:innen unterlagen bestimmten Regelungen, zum Beispiel durften sie nur 4% Gewinn machen, und der Rest des Gewinns musste in Neubau reinvestiert werden. Dies funktionierte eine Zeit lang, bis das Gesetz dann abgeschafft wurde. In einer von Thatcher und Reagan geprägten Ära des Neoliberalismus war ein Gesetz, das in den Wohnungsmarkt eingreift, vielen ein Dorn im Auge.

1988 stimmte eine Mehrheit des Bundestags, damals die Regierungsparteien der Kohl Regierung, Union und FDP, für die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Unabhängig von den Auswirkungen der Abschaffung des Gesetzes glauben beide Interviewpartner, sowohl Frau Vollmer als auch Herr Holm, dass das Gesetz selbst, oder auf jeden Fall die Umsetzung des Gesetzes, um mehr private Unternehmen an sozialem Wohnungsbau zu beteiligen, von vorn herein falsch ansetzt: Laut Andrej Holm seien die Förderprogramme teilweise so hoch gewesen, dass sie die gesamte Bauleistung selbst hätten finanzieren können. Statt die Wohnungen selbst zu bauen, entschied die BRD sich für Milliarden schwere Subventionsprogramme, wobei Wohnungen nur für eine begrenzte Zeit im sozialen Sektor gebunden waren. Nach Ablauf einer Bindungsfist verwandelt sich die Wohnung in Privateigentum: Umwandlungen in Eigentumswohnungen oder Luxussanierungen sind ungehindert möglich. Es wird oft über diese Periode gesagt, dass wir nicht über reinen Sozialbau sprechen können, sondern über eine Art Wirtschaftsförderung mit einer sozialen Zwischennutzung. 

Wiedervereinigung und Nachwendezeit

Und dann kam die Wende: Im Westen war der marktliberale Hype im vollen Gange und die Privatisierungswelle konnte ungehindert in ostdeutsche Städte überschwappen.

Nach der Wende setzte sich die marktwirtschaftsorientierte Wohnungsideologie stetig fort. In den 90ern galt die Überzeugung, dass Berlins Einwohner:innenzahlen massiv steigen werden. Zum Teil gab es noch öffentliche Bauprojekte, aber mehrheitlich tummelten sich nun private Akteur:innen auf dem Wohnungsmarkt. Es herrschte in Berlin ein Optimismus, wofür zum Beispiel der Potsdamer Platz ein gutes Beispiel ist: Riesen Bauprojekte mit Wohnungen, Büros und ganzen Unterhaltungszentren. Der Optimismus währte nicht lange. Relativ schnell wurde klar, dass die erwartete Explosion nicht stattfinden würde und Berlin schrumpfte sogar. Heute unvorstellbar, aber Lisa Vollmer erklärt im Interview, dass damals öffentliche Fördermittel ausgegeben wurden, um Wohnungsunternehmen zum Abriss ihrer Bestände zu bringen. 

Natürlich waren die 90er eine besondere Zeit. Wichtig ist hierbei, dass das in Gang gesetzte Marktdenken als die Lösung für Berlins Wohnungsproblematik gesehen wurde. Ost-Berlin sollte sich zum Beispiel schnell dem West-Berliner Modell anpassen: Das heißt, große Teile des öffentlichen Wohnungsbestandes sollten privatisiert werden. Es finden die ersten En-Bloc Verkäufe statt: Ganze Wohnungskomplexe werden auf einmal verkauft. Das Versprechen durch Kapitalismus und Privatisierung: Blühende Landschaften und schön sanierte Wohnungen. Äußerlich hübsch ist es jetzt im Prenzlauer Berg. Aber für wen? Rund eine Milliarde wurde für die Aufwertung des Gebietes ausgegeben. Das hat zur Folge, dass die Gebäude und Kieze saniert wurden, viele ursprüngliche Einwohner:innen sich aber die Mietpreise nicht mehr leisten können. Die Sanierungen wurden öffentlich gefördert, und Millionen flossen in die Hände des Privatkapitals.

Die Rolle der Berliner CDU

Dass nach der Wiedervereinigung viel schieflief, ist kein Geheimnis. Und natürlich sind viele Wohnungen schon in den 90ern verkauft worden. Aber die Privatisierung der großen sozialen Wohnungsbestände, und der Aufstieg von Aktiengesellschaften und Hedgefonds auf dem Berliner Wohnungsmarkt, wurde eigentlich erst ein Jahrzehnt später eingeläutet.

Eberhard Diepgen war insgesamt fünfzehn Jahre für die CDU regierender Bürgermeister Berlins und musste zurücktreten, als deutlich wurde, dass Berlin für Milliardenschulen einstehen muss, die durch den sogenannten Berliner Bankenskandal entstanden sind. Im Jahr 2001 stürzte Berlin in eine tiefe finanzielle Krise. Lisa Vollmer erklärt uns im Interview: „Berlin hat sich eine teilprivatisierte Bankgesellschaft ausgedacht, die eben missgewirtschaftet hat, auch im Immobiliensektor, wo eben das Modell, dass es ein privates Unternehmen war, für dessen Verlust aber die öffentliche Hand zu 100% haftete“.

Als herauskam, dass diese Mischung von privaten und öffentlichen Banken sehr schlecht gewirtschaftet hatten, drohte der Konkurs. Die Bankgesellschaft hatte unter anderem massenhaft Plattenbauten gekauft, doch die Gewinne blieben aus. Nur eine Risikoabschirmung des Landes Berlin konnte einen kompletten Gau verhindern. Nach 2001, stiegen Berlins Schulden von 40 auf 60 Milliarden, bis sie 2006 auf einem Plateau landeten. Ein Schuldenberg, der Berlin seit 15 Jahren schwer auf den Schultern liegt.

Schuldendiskurs in Folge des Berliner Bankenskandals und Privatisierung der GSW

Am Wohnungsmarkt gibt es seitdem einen Bruch in der Argumentation. Laut Holm verschob sich die privatisierungsfreundliche Argumentation von einem „Private können es besser“ zu „Schuldenabbau hat höchste Priorität“. Und das heißt auch, dass in vielen Bereichen das Budget gekürzt wurde. Für Berlin bedeutet das unter anderem den Verlust von etwa der Hälfte des sozialen Wohnungsbestandes.

2004 wird die GSW (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft) verkauft, welche später durch die Deutsche Wohnen übernommen wurde. Es war der größte En-Bloc Verkauf, den es in Berlin je gegeben hat. Natürlich darf man nicht vergessen, dass mit diesem Deal auch Schulden von anderthalb Milliarden Euro übertragen wurden. Dennoch bezahlten die Käufer, große Investmentfonds, damals umgerechnet nur 30.000 Euro pro Wohnung bei diesem Riesenverkauf. Es lässt sich leicht vorstellen, dass dies das Interesse von vielen Investmentfonds anzog und Berlin. Infolge entwickelte Berlin sich rasant zu einem der interessantesten Immobilienmärkten in Europa. Auch nach der Finanzkrise 2007/2008 wurde von Investmentfonds wie Blackrock nach Anlage- und Renditemöglichkeiten gesucht. Berlin war nicht der einzige Markt auf dem das Geld landete, aber es war die spezifische historische Lage in Berlin, die eine solch rasante Entwicklung in kurzer Zeit ermöglichte.

Die spannenden Interviews mit Lisa Vollmer und Andrej Holm könnt ihr in Folge 4 des Kampagnenpodcasts Von Menschen und Mieten nachhören.