18. Kasım 2020

Wem gehört Berlin? Zum Transparenz der Wohnungsmarkt

Diese Frage scheint nur im ersten Moment einfach zu beantworten. Wer etwa wissen möchte, wem die zwei Millionen Wohnungen in der Stadt gehören, stößt gleich an die Grenzen des Grundbuchs. Das ist nur bei „begründetem Interesse“ einsehbar, etwa wenn man sich informieren möchte, wer die eigene Vermieterin ist. Aber auch das ist nicht immer in Erfahrung zu bringen, denn einige möchten lieber anonym bleiben – wie die Hauseigentümer:innen der einstigen Neuköllner Kneipe Syndikat oder der Buchhandlung Kisch & Co in Kreuzberg.

Deshalb wollte es Christoph Trautvetter, Public-Policy-Experte und Referent des Netzwerks Steuergerechtigkeit, genau wissen. Im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung analysierte er auf der Grundlage vieler Recherchen von Journalist:innen, Mieter:innen und dem Projekt „RLS Cities: Wem gehört die Stadt?“ die Eigentumsverhältnisse auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Die wichtigste Erkenntnis: Berlin gehört nicht mal zur Hälfte den 3,6 Millionen Berliner:innen. Dafür gehört fast die Hälfte aller Berliner Wohnungen ein paar Tausend Leuten aus aller Welt.

60 Prozent aller Berliner Mietwohnungen dienen der Profitmaximierung

Welche Berliner:innen sich über ein sicheres Zuhause in ihrer Stadt freuen können, ist schnell aufgezählt: Das sind die rund 305.000 Besitzer:innen von selbst genutztem Wohneigentum und die Menschen, die in den 220.000 Wohnungen einer Genossenschaft oder eines gemeinnützigen Unternehmens leben. Allen 3,5 Millionen Berliner:innen gehören die 325.000 Wohnungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen.

320.000 Wohnungen werden von Vermieter:innen gehalten, die gern als „klein“ bezeichnet werden und angeblich vom Mietendeckel um ihre Altersversorgung gebracht werden. Die Frage, warum Mieter:innen ihre Vermieter:innen im Alter versorgen sollten, mal beiseitegelassen – so klein sind viele gar nicht, denn das Projekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung ermittelte namentlich schon 200 professionelle Vermieter:innen, denen rund 828.000 Wohnungen in Berlin gehören. Und das sind noch längst nicht alle. Das heißt: 60 Prozent aller Berliner Mietwohnungen sind Ware. Bald die Hälfte dient der Profitmaximierung von 200 Unternehmer:innen und einer unbekannten Zahl von Anleger:innen aus aller Welt. 

Wenn Wohnungen Ware sind

Die Mieten der Berliner:innen bleiben zum größten Teil nicht in der Stadt und werden nicht in Berlin investiert – sie werden oft genug noch nicht mal in Berlin versteuert. Was treibt Anleger:innen dazu, in Wohnsiedlungen wie das Falkenhagener Feld, Gropiusstadt oder Marzahn-Hellersdorf zu investieren? Die „Mietentwicklungspotenziale“ mit märchenhaften Renditen von jährlich 20 Prozent. Das heißt im Klartext: Unsere Mieterhöhung ist bereits eingepreist. Nach der Finanzkrise suchten die Anleger:innen sichere Investments für ihr Geld, das für sie arbeiten soll. Und was ist sicherer als Betongold in einem politisch stabilen Land und einer der beliebtesten Städte der Welt, in der 85 Prozent der Menschen zur Miete wohnen? Den Beweis liefern die ungebrochen hohen Aktienkurse von Immobilienunternehmen in der gegenwärtigen globalen Krise.

Die soziale Frage des 21. Jahrhunderts

Ein hoher Bestand an Wohnungen landeseigener Immobilienunternehmen diente jahrzehntelang der Daseinsvorsorge für die Berliner:innen. Mit dem Ausverkauf der landeseigenen Wohnungsunternehmen durch den rot-roten Senat wurde das Grundbedürfnis Wohnen zur Ware gemacht. Scheinbar unrentabler Wohnungsbestand und die ganze GSW wurden an börsennotierte Konzerne verscherbelt, um das Defizit des Landes zu verringern.

Die Marktmacht von gewinnorientierten Unternehmen im Wohnungssektor ist in Berlin so groß wie in keiner anderen deutschen Stadt und hat noch mehr fatale Auswirkungen als explodierende Mieten: Sie schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Stadtgesellschaft und sogar des Senats empfindlich ein und sie verhindert eine Regulierung des Wohnungsmarkts. Deutsche Wohnen & Co haben gegen den Mietspiegel geklagt und auch den Mietendeckel wollen sie nicht akzeptieren.

Wie unter dem Brennglas zeigt der Wohnungsmarkt die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich – die Wohnungsfrage ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.

Lest die Studie von Christoph Trautvetter:

https://www.rosalux.de/publikation/id/43284/wem-gehoert-die-stadt?cHash=268680154b77809beb49cc3c1e0efd57